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29. September 2004,  02:23, Neue Zürcher Zeitung

Ein Oberschurke als Musical-Held

Schwarze Komödie über Udo Proksch in Wien

Zurzeit läuft in Wien ein Musical über Udo Proksch, der 1977 den Untergang des Schiffes «Lucona» veranlasst hatte. Bei der modernen Adaption kommen keine Personen ums Leben - der unruhestiftende «Udo 77» entpuppt sich als Computervirus.

cer. Wien, 28. September

Udo Proksch, die schillerndste Figur in der Zweiten Republik und Österreichs Bösewicht Nummer eins, verurteilt wegen sechsfachen Mordes als Held eines Musicals im Rabenhof-Theater in Wien? Proksch, durch die nicht restlos geklärte mythenumwobene «Lucona»-Affäre zu negativem Weltruhm gelangt, spukt gegenwärtig als Geisterstimme mit breitestem Wiener Dialekt durch den unterirdischen Theatersaal. Der «Rabenhof» war ursprünglich der Versammlungssaal für die Bewohner des gleichnamigen Gemeindebau- bzw. Sozialwohnungs-Komplexes aus dem Jahr 1928, später Kino und schliesslich Theater, das sein Publikum immer wieder mit ausgefallenen, originellen und skurrilen Dingen überrascht. Zu diesen Skurrilitäten gehört auch das reizvolle, aber von Historikern bedauerlicherweise widerlegte Gerücht, dass das Rabenhof-Theater zeitweise, mit lauwarmem Wasser gefüllt, als Hallenbad für die Bewohner gedient habe.

Sozialistische Festung mit Burgverlies

Gesichert ist die Tatsache, dass der «Rabenhof» seinen heutigen Namen 1934 erhalten hatte, im Rahmen der systematischen Umbenennungsaktionen des Austrofaschismus, welche die früheren, von sozialistischen oder kommunistischen Idolen abgeleiteten Namen von Gemeindebauten ausmerzten. Während der wesentlich berühmtere und ungleich grössere Karl-Marx-Hof seinen früheren Namen nach dem Krieg zurückerhalten hatte, blieb es hier beim «Rabenhof», einer Bezeichnung, die auf einen längst nicht mehr existierenden Gasthof «Zum Raben» zurückgehen soll.

Der Eingang zum Theater mit seinen feierlichen Freitreppen dominiert die Hauptfassade des «Rabenhofs» mit den typischen Deco-Elementen, doch in den eigentlichen Theaterraum steigt man hinab wie in ein verborgenes Burgverlies. Und über dem schlichten, dunklen Saal mit spartanischer technischer Ausstattung und unbequemen Holzsitzen hängt ein Hauch von Verschwörung. Daher bietet sich dieser Theatersaal geradezu an für politische Satire. Und Satire im «Rabenhof», wie etwa die umwerfende Collage mit Originalzitaten aus Reden sämtlicher österreichischer Bundespräsidenten, ist aus der Sicht des treuen Stammpublikums dem, was heutzutage etwa im legendären «Simpl» der längst verstorbenen Altmeister Grünbaum und Farkas geboten wird, haushoch überlegen - obwohl und vielleicht gerade weil hier manches eher improvisiert und vieles ausstattungsmässig bescheiden wirkt. Aber nie findet im «Rabenhof» billige Routine statt.

So ist auch das als «Welturaufführung» angepriesene Proksch-Musical «Udo 77», das noch bis zum 9. Oktober zu sehen ist, etwas Besonderes. Für die Wiener Stadtzeitung «Falter» ist es «der einzige Spass der Stadt», und das Nachrichtenmagazin «profil» schwärmt von «Bühnenrausch», einer «mittelschweren Explosion», präsentiert von einem «fabelhaften Ensemble». Proksch, den schwärzesten Raben dieser Republik, auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis - zumal diese Figur zahlreiche markante Persönlichkeiten aus der «besseren» Wiener Gesellschaft, aus Politik und Kultur mit falschem Glanz und Glimmer geblendet und in den Strudel von Korruption und Verbrechen hineingerissen hat. Die schier unglaubliche Lebensgeschichte dieses Antihelden wird zwar in ihren wichtigsten Stationen nachgezeichnet, doch erliegt die Darstellung nie der Gefahr, dass der abgebrühte Widerling zum Helden hochstilisiert werden könnte.

«Udo 77» - nur ein Computervirus?

Wohl aber wird die gefährliche Faszination dieses Menschen verdeutlicht. Aber es sind hier nicht leibhaftige Mitmenschen, die dieser erliegen, sondern vier tanzende und singende Computerprogramme, von vier überaus dynamischen Schauspielern des Wiener Künstlerkollektivs Monochrom verkörpert: Es geht darum, im Rahmen des Trainingsprogramms einer österreichischen Provinzbank die Bonität, die Kreditwürdigkeit des Udo Proksch zu testen, und auf den Proksch ist der ungeschickte Lehrling nur gekommen, weil er mit der Computermaus ausgerutscht ist.

Der wirkliche Udo Proksch war ein Kind des Krieges, wie er immer betonte. Er wurde 1934 in Rostock geboren. Im Alter von 40 Jahren übernahm er die legendäre «k. und k. Hofkonditorei» Demel und richtete dort im Hinterzimmer den zwielichtigen Club 45 ein, der insbesondere von der sozialistischen Schickeria gern frequentiert wurde. Zu seinen Freunden zählte Proksch die berühmtesten Künstler der Nation. Zwischendurch gründete er den Verein der Senkrechtbegrabenen - ein eigenwilliger Beitrag zur Wiener Nekrophilie. 1977 kam sein grosser Coup: Er liess das Schiff «Lucona» versenken und kassierte die Versicherungssumme von umgerechnet rund 31 Millionen Franken für eine angeblich mit dem Schiff untergegangene Uranerz-Aufbereitungsanlage; bei dieser hatte es sich in Wahrheit um Schrott gehandelt. Sechs Seeleute kamen ums Leben. Der Betrug flog auf, Proksch wurde verhaftet und zu lebenslänglicher Haft verurteilt; der damalige Innenminister Blecha und Parlamentspräsident Gratz mussten über die Klinge springen. Proksch starb 2001 an Herzversagen im Gefängnis. - Eine schreckliche Geschichte, ein Trauma für die Republik, doch auf der Rabenhof-Bühne hat das Anti-Musical eine Art Happy End: «Udo 77» entpuppt sich zeitgemäss als Computervirus.

 
 
 

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